Nicht für jeden ist verständlich, wieso ich mich im Look vergangener Jahrzehnte wohl fühle oder wie es überhaupt dazu gekommen ist. „Altbacken“, „out of fashion“, „Omastyle“ sind einige der Bezeichnungen, die man gerne ab und an zu hören bekommt und nicht jedes „Marilyn“, das gerufen oder getuschelt wird, ist bewundernd oder als Kompliment gemeint. Hier ein Tipp am Rande; einfach nicht wahrnehmen oder die Menschen, die meinen ihre ungefragte Meinung kund tun zu müssen mit einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein strafen. Man selbst muss sich wohlfühlen. Es ist nicht unsere Aufgabe in das Bild der anderen Leute zu passen.

Ich bin als Teenager ein wenig von Szene zu Szene gerutscht, weil ich mich bei den „normalen“ Leute nicht wohl gefühlt habe. Extravaganz oder zumindest ein in irgendeiner Weise herausstechender optischer Auftritt waren mein Ding und ich habe mich wohl damit gefühlt nicht in der Menge zu verschwinden, sondern gesehen zu werden. Ich habe mit dreizehn Jahren eine wahnsinnige persönliche Entwicklung hingelegt. Vom scheuen Kind bin ich zu einem dieser Teenager geworden, der absichtlich zu spät zum Unterricht kam, laut mit Lehrern diskutierte und mit ihrem Look schockieren wollte. Irgendwann hat sich das etwas gelegt, als ich gemerkt habe, dass Rebellion in jeder Situation einem das Leben nicht unbedingt leichter macht. Trotzdem ist es mir geblieben, meinen Mund auf zu machen, wenn ich es für nötig empfinde, ohne Angst vor Reaktionen von Außen zu haben und der eigenwillige Look blieb und veränderte sich vom Goth-Emo-Punk-Mix zu einem Alternative-Hardcore-Girly und weiter zur Rockgöre, mit Rockabilly-Elementen.

Hier kam nun eine weitere psychische Entwicklung ins Spiel: Mein Leben lang waren Mädchen für mich etwas schwaches gewesen. Im Kindergarten waren die Mädchen als Mutter in der Puppenküche, in der Grundschule spielten die Jungen Fußball und die Mädchen mussten Bodenturnen oder Bändertanz machen. Für so viele Dinge waren Mädchen immer zu schwach und zu zart und überhaupt weinten Mädchen so oft und hatten ständig Angst. Ich wollte lieber ein Junge sein, der keine Angst hat hin zu fallen, sich das Knie auf zu schlagen und überhaupt alles machen kann, weil er stark genug dafür ist. Dieses Bild war von frühester Kindheit an ständig präsent und ich habe es gehasst. Meine Babypuppen wurden mit Filzstift-Tattoos verschönert und meine Barbies verließen ihre Männer und fuhren in einem roten Cabrio durch die erbaute Barbiestadt, um sich etwas am McDonalds-Drive-In (ein Barbie-Häuschen von McDonals, das ich von meiner Mutter vermacht bekommen hatte) etwas zu essen zu holen. Kleider waren ein No-Go, denn diese würden ja optisch besiegeln, dass ich eines dieser Mädchen bin, die ich nicht recht leiden konnte. Erst im Alter von 17 Jahren kaufte ich mir mein erstes Kleid. Ich hatte Cherry Dollface für mich entdeckt, lernte durch ihre Tutorials meine Haare mit einem Bandana zu stylen und kaufte schließlich mein erstes Petticoat-Kleid (Das eine kleine Katastrophe war). Aber Moment! Woher kam plötzlich der gedankliche Umschwung?

Meine Mama und Oma waren Fans der Elvis Presley Filme und ich liebte diese ebenfalls. Die Frauen in den Filmen waren -zumindest meistens- wirklich schlagfertig und doch wunderschön, elegant und klassisch weiblich gekleidet. Auch andere Frauen, die mich inspirierten und von denen ich wusste, dass sie ordentlich austeilen konnten und absolut keine scheuen, kichernden Mädchen ohne Selbstbewusstsein waren, konnten so weiblich aussehen wie sie nur wollten. In meinem Kopf begann sich etwas zu bewegen und ich verstand, dass weiblich sein absolut nichts damit zu tun hatte, dass man schwach war, oder sich nicht durchsetzen konnte. Frauen waren stark und selbstbewusst und sie konnten alles tun, was sie wollten. Und ich wollte ja schließlich nur ein Junge sein, weil ich immer gedacht hatte, dass alle Mädchen zukünftige Mütter wären, die nur kochten und Babys bekamen, so wie in der Puppenküche im Kindergarten und die Männer waren die, die den Ton angaben. Aber nicht mit mir, ich hatte nun entdeckt, dass das nicht meine einzige Aussicht für die Zukunft war. Ich begann also in der Rolle der selbstbewussten (mal mehr mal weniger) und eigenständigen jungen Frau aufzugehen, gekleidet in Kleider und mit unter Anstrengung gestylten Frisuren.

Vom Rockabilly Look entwickelte ich mich kurz in die PinUp Richtung, doch schnell wurde mir klar, dass mein Körper etwas anders aussah, als der von kurvigen Models, mit „perfekten“ Proportionen“. Nach einer kurzen Phase, in der ich sehr viel Gewicht verloren hatte, aufgrund von psychischen Problemen nahm ich wieder zu, als mein Leben wieder schöner und mein Mindset zufriedener wurde. Enge Hosen, Kleider und Shirts gefielen mir nicht mehr und oft wurde ich auf Speckröllchen oder andere unvorteilhafte Körperregionen angesprochen. Die Modezeitschriften und Mädels auf Fotos waren „perfekt“. Die Maße wurden gelobt und ich saß daneben und bekam Heulkrämpfe, wenn es darum ging, dass ich mir eine neue Hosen kaufen musste. Ich hatte Angst vor den Zahlen auf den Etiketten in den Hosen von H&M und Co. Als ich mich mehr mit vergangener Mode beschäftigte, merkte ich, wie schmeichelhaft die Mode vergangener Jahrzehnte aussehen konnte, an Körpern, die keine Maße von Laufstegmodels haben. Ich lernte meinen Körper besser kennen und beschäftigte mich damit, was mir stand und was nicht, mit meinen Vorbildern, meinen Komfortzonen und den Bereichen meines Körpers, die man wohl als „Problemzone“ bezeichnen würde. Mein Interesse an Geschichte war stets ungebrochen gewesen und nun konnte ich mich auch optisch mehr und mehr in diese Jahrzehnte, die mich so faszinierten bewegen und gleichzeitig hatte ich zum ersten Mal das Gefühl „in etwas hinein zu passen“. Noch dazu beschäftigte ich mich mit starken Frauen und der Entwicklung der Emanzipation und bald schon, wenn Jemand mich fragte, ob ich denn auch gerne das Leben einer 50er Jahre Hausfrau führen würde, packte ich mein geschichtliches Wissen aus und erklärte, dass mein Ziel sei, die Frauen zu repräsentieren, die seit eh und je gegen die typische, konservative Rollenverteilung und die Geschlechterrollen, sowie gegen die Unterdrückung und Bevormundung der Frau gekämpft hatten.

Das ist auch heute noch mein Ziel. Das zu sein, was ich als junges Mädchen gerne gehabt hätte; ein Vorbild einer Frau, die alles sein kann was sie will, ohne sich in eine Schublade stecken zu lassen. Eine edle, klassisch schöne Frau, wie aus einem schwarz-weißen Hollywoodstreifen entsprungen, die es faustdick hinter den Ohren hat und ihren eigenen Weg geht und dabei nicht zu knapp mit Support um sich wirft und auf die Barikkaden geht. Das war mein Ziel und wenn man den Kommentaren unter meinen Instagram-Fotos glaubt, dann habe ich dieses Ziel wohl tatsächlich erreicht.

Vintagelook und -Styling haben mir also geholfen, mich selbst kennen zu lernen, die Geschichte der Menschen besser zu verstehen, offen zu sein und mich wohl zu fühlen in meiner Haut. Dieser Look setzt vielen Tagen und Situationen noch das Sahnehäubchen auf und ich bin froh, diese großartige Szene für mich entdeckt zu haben.